DIE QUELLE
Schriftleitung Dr. Burger u. Richard Rothe
EIN STÜCK VERGANGENHEIT
IM NÖRDLICHEN WIENER WALDE
HEIMATKUNDLICHER GESAMTUNTERRICHT IN DER DORFSCHULE
Von Robert HEINIKE, Lehrer in Sieghartskirchen, Niederösterreich
Die am Abhange des nördlichen Wiener Waldes gelegene Ortschaft Ried am Rieder Berger (an der Reichsstraße) dürfte so manchen nicht ganz unbekannt sein. Durchstreifen doch viele Ausflügler alljährlich in den Sommermonaten diese Gegend (Troppbergpartie) und so mancher Wiener Waldwanderer wird in einem der beiden Gasthäuser der genannten Ortschaft ein kurzes Raststündchen gehalten haben. Daß aber in nächster Nähe dieses Ortes unter den Buchenkronen des Wiener Waldes ein Stück Vergangenheit versteckt liegt, wird wohl nicht allen bekannt sein.
Wandern wir, die Reichsstraße bei Ried verlassend, durch den Ort und folgen wir in südöstlicher Richtung der blauen Markierung. Ein schmaler Wiesenweg führt uns in das Tal des Klosterbaches, in das liebliche Rosental. Zu beiden Seiten von den blumigen Abhängen (Klosterleiten) des Tales eingeschlossen, verfolgen wir nun den Lauf des Klosterbaches in entgegengesetzter Richtung bis zu seinem Ursprung. Nach einer gemütlichen Wanderung (eine halbe Stunde) erreichen wir das Ende des Rosentales und stehen vor einer bewaldeten Anhöhe. Ein ansteigender Fußweg führt uns über einen Wiesenhang: Hier liegt sie nun vor uns, die alte Ruine des ehemaligen Franziskanerklosters „Zu St. Lorenz und unserer lieben Frau im Paradiese“, verdeckt und geschützt durch die Laubkronen des Wiener Waldes in schattiger Einsamkeit. Eine verfallene Grundmauer der ehemaligen Klosterkirche bietet uns einen willkommenen Ruheplatz. Umschlossen von starren, sterbenden Mauern erfaßt uns ein heimliches Grau’n. Unten rieselt kühl in einem schluchtartigen Tale das Klosterbächlein dahin und über uns rauscht und raunt es in den schattigen Buchenkronen: Es war einmal! Wir schließen die Augen und träumen Vergangenheit.
Das Kloster wird gegründet.
Als der heilige Johann von Capistran in der Mitte des 15. Jahrhunderts den Kriegszug gegen die Türken predigte, begeisterte er durch seine Reden arm und reich für den reformierten Orden des heiligen Franziskus, dem er selbst angehörte. Innerhalb weniger Jahre entstanden in Niederösterreich mehrere Klöster dieses Ordens (Wien, St. Pölten, Langenlois u. a.). Bevor noch Johann von Capistran aus seinem Leben abberufen wurde, kam der damalige Vikar der österreichischen Franziskanerordensprovinz, Pater Gabriel von Verona, auf seinen Wanderungen in jene Gegend des nördlichen Wiener Waldes, wo heute die Klosterruine steht. An diesem Platze stand vor der Erbauung des Klosters eine Waldkapelle, die dem heiligen Lorenz geweiht war. Die Gegend gefiel dem Franziskanerpater so gut, daß er den Entschluß faßte, in dieser Einsamkeit des Wiener Waldes eine Ordenskolonie des heiligen Franziskus zu gründen. Nachdem er die Erlaubnis und vom Bischof von Passau (Ulrich III. von Nußdorf) den Platz hiezu erhalten hatte, ließ er mit den Spenden frommer Gläubiger das Kloster erbauen, das seiner herrlichen Lage wegen den Beinamen „im Paradiese“ erhielt. Der Bau war in kurzer Zeit vollendet (1457).
Schon im Jahre 1464 konnte hier ein Provinzialkapitel abgehalten werden, welches Pater Gabriel zum Provinzialvikar wählte. Die tiefe Stille und Einsamkeit des Ortes gefiel den Ordensoberen so gut, daß sie sogar das Novizial und die Studienanstalt für die Zöglinge der österreichischen Ordensprovinz hieher verlegten.
Das Kloster brennt.
Durch Unvorsichtigkeit brach im Jahre 1509 Feuer aus, wobei ein großer Teil des Klosters samt der Kirche ein Raub der Flammen wurde. Das Feuer griff so schnell um sich, daß der junge Kleriker Zacharias keinen Ausweg mehr finden konnte. Er suchte am Hochaltare Zuflucht und verbrannte mit ihm. Das Kloster wurde nach dem Brande wieder hergestellt.
Die Türken zerstören das Kloster.
Als im Jahre 1529 die Türken Wien belagerten, zog auch eine Abteilung mordend und plündernd donauaufwärts, dem Saume des nördlichen Wiener Waldes entlang. Den Ortschaften St. Andrä, Königstetten, Tulbing usw. war in jener Schreckenszeit ein trauriges Los beschieden. Auf Umwegen kam diese wilde Horde auch bis zum abgelegenen Paradies auf dem Rieder Berge. Die friedlichen Franziskanermönche hatten wohl keine Ahnung von dem schrecklichen Schicksale, das ihnen bevorstand. Der Tod überraschte sie in ihrem einsamen Paradiese. Es war am 6. September, als die Türken das Ordenshaus anzündeten und die Mauern zum Großteile der Erde gleich machten. 18 Klostermönche starben durch Feuer und Schwert. Pater Ladislaus, dem es gelungen war, zu entfliehen, wurde auf dem Wege nach Königstetten von den Türken eingeholt und niedergemetzelt.
Das Kloster wurde nicht mehr aufgebaut. Teils fehlte es in jener Zeit der Not an Geldmitteln, teils war die begründete Furcht vor neuen Einfällen vorhanden. Im Provinzialkapitel zu Langenlois wurde daher der Beschluß gefaßt, diesen Ort gänzlich aufzugeben und zu verlassen. Als Ersatz dieses zerstörten Klosters gilti n der Ordensgeschichte das später gegründete Franziskanerkloster zu Neulengbach. Ob vielleicht einige von den Türken verjagte Mönche durch den Wiener Wald flüchteten, läßt sich nicht feststellen. Sicher aber ist, daß in dem herrlich gelegenen Schlosse zu Neulengbach mehrere Franziskanermönche gastliche Aufnahme genossen, bis der Besitzer des Schlosses die Erbauung eines eigenen Konvents beschloß.
Was sich das Volk erzählt.
Den ehemaligen Klosterkeller deckt jener Wiesenabhang, der sich vor der Hauptfront der Ruine ausbreitet. Von ihm erzählt man sich folgende Sage: „Der Keller birgt kostbare Schätze, die in 3 Bottichen vergraben, von drei schwarzen Hunden bewacht werden. Alljährlich öffnet sich am Karfreitag während des Gottesdienstes (in der Zeit zwischen Predigt und Passion) dieser Keller. In dieser Stunde ist es jedem Sterblichen ermöglicht, den Keller zu betreten und sich mit Schätzen zu beladen, soviel man tragen kann. Die knurrenden, zähnefletschenden Hunde fahren auf den Eindringling los. Man braucht sich aber ihretwegen nicht zu fürchten, da sie in dieser Zeit nicht beißen. Nur muß der glückliche Schatzsucher trachten, den Keller zu verlassen, bevor die kurze Zeit abgelaufen ist, sonst schließt sich das Tor und er ist verloren.“ Das Volk sucht sich nu eine Gestalt, läßt ihr den Inhalt der Sage erleben und schafft sich dadurch eine zweite Sage:
„Von diesen kostbaren Schätzen hörte auch eine arme Witwe, die mit ihrem kleinen Kinde zur bestimmten Stunde in den sich öffnenden Keller eintrat, Schürze und Taschen füllte und dann rasch wieder zur Türe hinauslief. In ihrem Freudentaumel und in der Eile vergaß sie aber, das Kind, das sie beiseite gelegt hatte, mitzunehmen. Sie stürzte eilig zurück, um es zu retten, jedoch der Keller war – und blieb verschlossen. Die verzweifelte Mutter begann nun bitterlich zu schreien und zu weinen und kehrte tief betrübt in ihr Heim zurück. Tag und Nacht betete sie zum lieben Gott, er möge doch ihren einzigen Liebling wieder in ihre Arme zurückführen. Freudlos lebte sie dahin, trotz der reichen Schätze.
Ein Jahr war seit diesem Unglückstag verflossen. Die heilige Osterzeit war wiedergekommen. Am Karfreitag begab sich die Mutter um dieselbe Stunde zur Klosterruine, um dort ihr Kind zu suchen. Der Keller öffnete sich und – welch’ unermeßliche Freude für das Mutterherz – das verlorene Kind, das während dieser Zeit schon das Gehen erlernt hatte, trippelte seiner Mutter frisch und gesund entgegen, die es freudig in ihre Arme schloß.“ Eine andere Sage berichtet, daß man nach diesen Schätzen im Klosterkeller wiederholt Tage hindurch gegraben habe. Jedesmal seien jedoch über Nacht die Spuren jeglicher Arbeit der Schatzgräber verwischt worden, weshalb man das Suchen aufgab. Auch an die in der Nähe der Ruine befindliche Quelle des Klosterbaches knüpft sich Volksaberglaube: Rührt man an heißen Sommertagen darin mit einem Stocke und betet man dabei ein Vaterunser, so bewölkt sich alsbald der Himmel und ein erquickender Regen beglückt die durstenden Fluren.
Allerhand Namen, die uns an das Kloster erinnern.
Klosterbach, Klostertal, Klosterleiten, Klosterberg, Klosterberg=Hütten. Eine Biegung der Reichsstraße über den Rieder Berg nennt der Volksmund „Klosterreit“. In alten Grundbüchern kommen die Namen „Paradiesgärtl“ und „Paradieswaldl“ vor. Wie ich durch einen Bewohner der Ortschaft Ried erfuhr, sollen die Leute in der Zeit vor dem Weltkriege auf ihren Äckern (in der Nähe der Ruine) noch einige Wurzeln von Weinstöcken ausgegraben haben.
*
Umstehend befindet sich eine Planskizze der Ruine. Sie wurde im Jahre 1839 von den damaligen Pfarrer von Sieghartskirchen (J. A. Mihm) und seinem Kooperator an der Hand der noch stehenden Mauern und auf Grund verschiedener Quellen gezeichnet. Die Planskizze ist in verkleinerten Maßstabe wiedergegeben. (Das Original der Skizze ist ohne Maßstab.)
Wie die Ruine aussieht.
Vom Kloster selbst ist leider nur mehr jene Mauer erhalten, die an die Kirche grenzt (13). Alles übrige (11) ist spurlos verschwunden. An jener Stelle breitet sich jetzt ein Wiesenhang aus. Die Mauern der Klosterkirche sind zum Teile noch erhalten, besonders jene, die das „Schiff“ der Kirche umgrenzen (3). Der Bau ist aus Sandstein. An einzelnen Stellen sieht man Ziegelausbesserungen, die an den Brand des Klosters erinnern. Der Boden hat sich gegen die Schlucht des Klosterbächleins hin gesenkt (Gruft?). Die beiden Quermauern, die das „Schiff“ vom „Presbyterium“ abgrenzten, sind zum Teile noch erhalten; ebenso einige Mauerreste um das Presbyterium. Man kann also an der Hand der Planskizze ganz gut die Räumlichkeiten der Kirche aufsuchen und auch den Platz der Altäre und der Gruft feststellen. An der Südwand der Kirche ist noch eine Fensterhöhle deutlich sichtbar. Die Mauer läuft beiderseitig gegen die Fensterhöhle kantig zu. In den Kanten sind Löcher. (Angeln, Fensterkreuz.)
[Skizze]
1. Portal. – 2. Haupteingang in die Kirche. – 3. Schiff. 2 Seitenaltäre
. – 4 Presbyterium, Hochaltar
. – 5. Eingang vom Kloster in die Kirche. – 6. Fenster; eines über dem Haupteingang. – 7. Eingang in die Gruft. 8. Sakristei. – 9. Klosterpforte. – 10. Eingang in den Keller. – 11. Bloße Grundmauern des Klosters. – 12. Zum Teile noch stehende Strebepfeiler. – 13. Noch bestehende Grundmauern vom Kloster. – 14. Kirchenplatz. – 15. Schlucht, in der das Klosterbächlein fließt.
Der obere Abschluß des Fensters fehlt leider. (Wahrscheinlich Spitzbogen.) Die übrigen Fensterhöhlen sind weit ausgebrochen. Die noch stehenden Mauern haben eine Höhe von zirka 3 bis 4 m und eine Dicke von rund 1 m. Ein Vergleich der Zeichnung mit der Wirklichkeit ergibt, daß das Original der Planskizze wahrscheinlich im Maßstabe 1 : 100 gezeichnet wurde. Demzufolge dürften für die Ausdehnung von Kloster und Kirche folgende Maßzahlen in Geltung kommen:
Größte Länge des Klosters 25 m, größte Breite des Klosters 17 m, größte Länge der Kirche 21 m, größte Breite der Kirche 8m.
Das Innere der Kirche ist mit Bäumen bewachsen.
Alljährlich, wenn der Wonnemond seinen Einzug im Wiener Walde hält, gilt mein erster Besuch dieser Ruine. Es ist so schön, in ihren düsteren Räumen von Vergangenheit zu träumen. In den Laubkronen, die die sterbenden Mauern beschatten, singen und jubilieren die munteren Wiener Waldfänger, draußen auf dem Wiesenhange prangen und duften die schönsten Maienblumen und tief unten rieselt das Klosterbächlein dahein. Und wie aus weiter Ferne tönt dann der Mönchsgesang an mein Ohr, ich beobachte im Geiste ihr Leben und Treiben und atme den Duft der Lilien, Rosen und Reseden aus dem Klostergarten, der in seinem Maienschmuck prangt und – neues Leben blüht aus den Ruinen.
Die Klosterruine im Unterrichte.
Am 6. Oktober machte ich mit meiner Klasse (4. und 5. Schuljahr) einen Herbstspaziergang zur Ruine. Wir verglichen die Planskizze mit der Wirklichkeit, maßen Länge, Höhe und Dicke der Mauern und schufen uns ein Bild von der einstmaligen Ausdehnung des Klosters. Der Klosterbach, die Abhänge des Tales mit ihren Herbstblumen, Bäumen und Sträuchern u. a. m. lieferten reichlichen Stoff für den Unterricht und der Spaziergang wurde zu einem Lebensgebiete, das ich zum Schlusse ganz kurz skizzieren will.
Unsere Arbeit im Freien.
Vergleich der Planskizze mit der Wirklichkeit. Abmessen von Länge, Höhe und Dicke der Mauern. (Sandstein, Wiener Wald.) Klosterbach, Ursprung, Lauf (Weltgegenden), Ufer, Breite, Mündung. Klostertal, Abhänge, Talsohle, Schlucht. Klosterberg, Abhang, Fuß, Gipfel. Wegmarkierung zur Ruine. Sammeln von Herbstblumen, Herbstfrüchten. Aussicht vom Rieder Berge. (Ortschaften, Berge.) Serpentinenstraße u. a. m.
In der Schule.
Geschichte des Klosters. Die Türken, 1529, 1683. Wiens Belagerung. Leben und Zustände in einem mittelalterlichen Kloster.
Blumen, Sträucher und Bäume, die wir auf unserem Spaziergange antrafen. Die Herbstzeitlose. Der Specht. Luftzug, Wind und Wetter. Wetterhäuschen.
Allerhand Klöster in unserem Heimatlande. – Der Wiener Wald. Eine Reise mit der Bahn in die Bischofstadt St. Pölten. (Franziskanerkloster.)
Bei der Klosterruine. Rast im Gasthause. Der Schatz im Klosterkeller. – Merkwörter aus verschiedenen Gebieten. Bodenständige Wetterregeln. (Sammlung durch die Schüler.) – Das Eigenschaftswort. Das Laub fällt von den Bäumen (gelb, rot, dürr u. a.). Zusammengesetzte Hauptwörter (Klosterkirche, Franziskanerkloster u. a.), zusammengesetzte Eigenschaftswörter (lichtgelb, dunkelbraun u. a.).
Die beiden Pilze. Der Holzwurm. (Lesebuch John.) – Die Herbstzeitlose. Reihungen, Füllungen. – Pilze in Buntpapierschnitt.
Klöster in Niederösterreich. – Nennen der Ortschaften, die wir vom Rieder Berg aus sahen. – Nennen von Herbstblumen, Früchten (Deutsch und Latein). – Ein Herbstlied.
Einkehr im Gasthause: Siphon, Kracherl und andere Getränke, Brot, Wurst, Ansichtskarten (Preise). – Dauer von Spaziergängen berechnen. Abgangszeit, Rückkehr. Kilometer, Meter, Stunde, Minute. Weg, Geschwindigkeit.
Daß uns dieses Lebensgebiet länger als eine Woche beschäftigte, ist wohl erklärlich.
Originalquelle: DIE QUELLE, Schriftleitung Dr. Burger u. Richard Rothe, Heft 3 – 1927 - 77. Jahr, Seite 265 ff
Abschrift aus Privatbesitz. Scann im Gemeindearchiv vorhanden.
Letzte Veröffentlichung am 26.12.2023.