Pest in Rappoltenkirchen.
Originalquelle: Der Tullner Gau, Zeitschrift für Heimatforschung, Herausgegeben von der Lehrerschaft des pol. Bezirkes Tulln, 1926 – 1938, (1. Jahrgang, Folge 4, 15. Juli 1926, Seite 1-2).
Anmerkung Marktgemeinde, Andreas Bohnec: Es wurde dieser Artikel unter dem Jahr 1713 angegeben, weil diese Jahreszahl die letzte Jahreszahl auf einem Marterl in Ollern ist (Angabe von Pestjahren: 1570, 1613, 1625, 1634, 1645, 1678, 1679, 1680, 1681, 1683, 1713, Marterl steht beim Friedhof).
Eine Schulstunde bei der Pestkapelle
Von Robert Heinike, Sieghartskirchen
(Abgedruckt in der „Quelle“, Jahrgang 1925, Heft 9.)
„---- wende ab von unseren Hütten Krankheit, Krieg und Hungersnot, gib uns unser täglich` Brot.“
Ein altes Mütterchen – die letzte im Zuge – schloß das Kirchentor und die Bittprozession entschwand meinen Blicken. – Die Zeit der Bittgänge war also wiedergekommen und aus dem nahen Kirchlein erklang dumpf die alte Weise des Liedes „Strenger Richter aller Sünder.“
Anmerkung Marktgemeinde, Andreas Bohnec.: Dieses Lied wird in Rappoltenkirchen auch heute noch bei einem Bittgang zum Roten Kreuz in der Bonna gesungen (Zum ersten Male gehört am 23.5.2006)!
An einem herrlichen Maienmorgen waren sie hinausgewandert, um von ihrem Herrgott den Segen über die Heimaterde herabzuflehen. Eine Weile stand ich noch in Gedanken versunken vor der Schultüre, dann ging ich in meine Klasse. Nicht mehr lange dauerte es, kamen auch die Kinder aus der Kirche und bald war ich mitten unter ihnen. Dazu der wunderschöne Maienmorgen mit seinem Vogelsang in den nahen Laubtronen der Kastanienbäume, der blaue, ungetrübte Himmel und im Herzen die Liebe zu den Kindern. Heut` muß ein schöner Schultag werden! Nur alle Fenster offen, damit das Leben in unsere Klasse strömen kann. Die hohe Schulmauer ist ja für uns schon verwittert, zertrümmert. – Der vormittägige Unterricht war beendet. Bevor wir den Heimweg antraten, sprach ich zu meinen Schülern: „Kinder, heute nachmittag suchen wir uns ein anderes Schulhaus, ein viel größeres und schöneres. Wir wandern wieder einmal hinaus ins Freie.“ Jubel beseelte die kleine Schar und mit einem hellen „Grüß Gott“ nahm sie Abschied.
Nachmittag kam wohl kein Schüler zu spät in die Schule. Schon vor 1 Uhr konnten wir den Sparziergang beginnen. Wohin sollte uns der Weg führen? Am Ende des Dorfes angelangt, bestiegen wir einen kleinen Hügel. Mitten in reichster Blumenpracht, beschattet von einer alten Linde, stand sie, die altersgraue Pestkapelle. Sie war das Ziel unserer Wanderung. Ein Denkmal der Vergangenheit, unbeachtet von den meisten Großen und Kleinen des Dorfes, das uns soviel erzählt von schwerem Leid unserer Vorfahren. Wir nahmen Platz auf weichem, grünen Schulbänken. Die Vöglein sangen und die Blätter der alten Linde lispelten dazu die Weise: Es war einmal!
„Kinder, ihr habt den Weg, den wir jetzt gegangen sind, heute schon einmal gemacht. Frühmorgens seid ihr mit euren Eltern durch grüne Felder und Wiesen gewandert und habt dabei mit ihnen gesungen: „Wende ab von unseren Hütten, Krankheit, Krieg und Hungersnot“. Auch an dieser Kapelle, vor der wir jetzt stehen, seid ihr vorübergegangen und die Kinder von Epping sehen sie alle Tage, wenn sie in die Schule gehen. Wißt ihr aber auch, warum diese kleine Kapelle hier steht, wer sie erbaut hat und woran sie uns erinnern soll? Ich will es auch erzählen.
Vor beiläufig 200 Jahren, als noch die Großväter eurer Urgroßväter hier in Rappoltenkirchen lebten, herrschte in unserer Gegend eine furchtbare Krankheit; es war die Pest. Viele tausende Menschen mussten daran schrecklich zugrunde gehen. Der Tod war fast allen sicher, die von dieser ansteckenden Krankheit befallen wurden. Die Pestkranken kekamen Geschwülste (Dippel), anfangs meist in den Achselhöhlen und auf den weichen Teilen des Körpers (Bauch, Schenkel, Wangen) und nach und nach bedeckte sich der ganze Leib mit Beulen, wie man sie nennt. Die Kranken bekamen Kopfweh, Fieber, wurden schwindelig, hatten keinen Appetit und alles, was sie aßen, mussten sie wieder erbrechen. Die Pestbeulen verursachten stechende Schmerzen, dazu kam die Angst vor dem Tode, der ja fast jedem sicher war. So groß wie Taubeneier wurden diese Pestbeulen. In kurzer Zeit fingen sie zu eitern an und gingen in Brand über (Schwarzer Tod!), man kann sagen, sie verfaulten. Unter schrecklichen Schmerzen mussten diese armen Menschen zugrunde gehen. Unbegrabene Leichname lagen in den Häusern und verbreiterten einen entsetzlichen Gestank. Noch heute sagen wir: Das stinkt wie die Pest und sprechen von einer verpesteten Luft. Besonders die Ortschaft Kogl wurde von dieser Krankheit schwer heimgesucht. In der Nähe dieser Ortschaft steht an dem Wege zur Ertlmühle, die euch ja bekannt ist, auch eine kleine Kapelle. Unter ihr liegen alle jene Einwohner von Kogl begraben, die in dieser Zeit an der Pest gestorben sind. Ein Zimmermann aus diesem Dorfe begrub alle Pesttoten, ohne daß er von dieser ansteckenden Krankheit befallen wurde. Aus Dankbarkeit errichtete er auf diesem Platze ein Holzkreuz, das aber nach mehreren Jahren verfaulte. Die Gemeinde Kogl ließ an Stelle dieses hölzernen Kreuzes jene Kapelle erbauen, die heute noch steht.
Die Bewohner von Kogl holten in dem benachbarten Sieghartskirchen ihre Lebensmittel. An der Straße, neben dem Gartenzaune des Herrn Doktors, stand ein großes Schaff, welches mit Wasser gefüllt war. Die Sieghartskirchner fürchteten sich, von dieser schrecklichen Krankheit befallen zu werden, und die Kogler mussten das Geld für die Lebensmittel , um durch die Berührung mit den Händen nicht angesteckt zu werden, in das Wasserschaft werfen. (Die Leute waren nämlich der falschen Meinung, das Wasser könne die Geldmünzen von der Pest reinwaschen.) Neben dem Wasserschaft stand ein großer Tisch, auf dem die Lebensmittel lagen. An jenem Platze steht heute eine sogenannte Pestsäule (Pestkreuz), die nach dieser schrecklichen Pestzeit erbaut wurde und uns an jene schweren Tage der Not erinnern soll. Wenn ihr wieder einmal nach Sieghartskirchen geht, so schaut euch dieses Kreuz gut an und erinnert euch an die Geschichte, die ich euch erzählt habe. Solche Pestsäulen und Pestkapellen entstanden in damaliger Zeit sehr viele. Sie wurden meist von den einzelnen Gemeinden zum Danke dafür gebaut, daß die Pest aus diesem oder jenem Dorfe verschwand. Aber nicht alle Kreuze sind Pestkreuze. Viele von ihnen wurden auch zur Erinnerung an die Türkenzeit errichtet. Davon habe ich euch ja schon erzählt.
Wie mag es nun in dieser schrecklichen Pestzeit in eurem Heimatorte Rappoltenkirchen ausgesehen haben? Vielleicht war dazumal auch gerade der schöne Monat Mai ins Land gezogen, als unsere Heimat von dieser Krankheit heimgesucht wurde. Auf den Wiesen blühten und dufteten die schönsten Margueriten, Glockenblumen, Lichtnelken und wie sie alle heißen, die neben euch im Grase leben und durch ihre herrlichen Farben unser Auge erfreuen. Dieselbe Sonne dort oben am blauen Himmel, die auf uns jetzt herniederlacht, sie schien auch einstens euren Vorfahren in alter Zeit. Aber unten im Dörfchen ging der Tod mit seiner Sense durch die Straßen. Die Leute lagen pestkrank in ihren Hütten und hatten entsetzliche Schmerzen zu erdulden. Ein lautes Jammern und Weinen in den Familien. Hier knieten sechs arme, verlassene Kinder an dem Totenbette ihrer lieben Eltern, die an der Pest gestorben waren, dort lagen zwei unbegrabene Leichname und verbreiteten einen entsetzlichen Gestank. Das Sterbeglöcklein rief weinerlich vom Kirchturme herab und ein Rappoltenkirchner nach dem anderen sank in die kühle Erde. Rings um das Dörfchen alles im schönsten Frühlingskleide, ein Meer von Blumen, ein Singen und ein Jubeln, und in den Hütten des Dorfes das Jammergeschrei der armen Kinder, das Weinen und Klagen der Mütter. Die Gesunden flüchteten sich vor den Kranken, um nicht auch angesteckt zu werden. Oft mutterseelenallein lagen die Sterbenden in ihren Häusern und schrien verzweifelt um Hilfe, bis sie der Tod von ihren furchtbaren Schmerzen erlöste. „Wende ab von unseren Hütten Krankheit, Krieg und Hungersnot!“
200 Jahre sind seit diesen unglücklichen Tagen verflossen. Die Toten sind zu Staub geworden und fast kein Mensch denkt mehr an sie. Aber die alte Pestkapelle, die hier vor uns steht, erinnert uns an diese traurige Vergangenheit. Wenn ihr einmal groß geworden seid, liebe Kinder, so sorget dafür, das diese Kapelle stets erhalten bleibt und nicht zugrunde geht. Sie soll ja auch noch euren Kindern und Enkelkindern eine Erinnerung sein an jene unglückliche Zeit.
Und nun wollen wir Abschied nehmen von dieser Kapelle. Aber unseren lieben Rappoltenkirchnern zu Ehren und zur Erinnerung, die an der Pest gestorben sind und unter dieser Kapelle begraben liegen, werden wir vorher dieses kleine Kirchlein mit den schönsten Blumen schmücken, die uns der Mai geschenkt hat.“
Wir verließen den traurigen Platz unter der alten Linde und die nahe Wiese beschäftigte uns noch eine Zeit mit ihren prächtigen Blumen. Bevor wir den Heimweg antraten, sangen wir als passendes Abschiedslied „Die Kapelle“ (?ert von ?hland). Die Stimmung in meinen Schülern sagte mir, daß ich erreicht hatte, was ich wollte.
Der Lehrsparziergang lieferte auch genügenden Stoff für die folgenden Tage. Ich erzählte den Schülern noch von anderen Heimsuchungen ihres Heimatortes in früherer Zeit. (Feuersbrünste, Hagelschlag, Hungersnot, Türken, Franzosen u. a. m.) Daran schloß sich die Besprechung religiöser Gebräuche in unserer Gegend. (Bittage, Schaueramt, Blasiussegen usw.) Die Kinder hörten von ansteckenden Krankheiten, von den Desinfektionsmitteln. Ich erzählte ihnen, welch` wichtige Rolle die Reinlichkeit bei den Krankheiten spiele. Dies führte uns wieder auf das Kapitel: Wie es mit der Reinlichkeit und Ordnung in einer mittelalterlichen Stadt bestellt war. Wir schrieben Aufsätze: Eine Schulstunde bei der Pestkapelle. Woran uns die Bittgänge erinnern. Unsere Pestkapelle. Der Rechtschreibunterricht beschäftigte sich mit Fremdwörtern dieses Lebensgebietes (Doktor, Epidemie, Desinfektion u. a. m.) und mit der Wortfamilie der beiden Wörter „tot“ und „Tod“. Im Buche lasen wir von Krankheiten und von der Reinlichkeit und Ordnung. Wir lernten von der Erzählform und übten sie, suchten Eigenschaftswörter und Zeitwörter dieses Lebensgebietes auf. Die Pestkapelle selbst wurde im Zeichen- und Handarbeitsunterrichte verwertet (Skizze, Paperschnitt). Die Schüler zeichneten Wiesenblumen. Auch Stoff für den Rechenunterricht war gegeben: Einwohnerzahl von Ortschaften vor und nach verschiedenen Heimsuchungen (Prozentrechnungen), Geburtsdatum, Sterbedatum, Geburten und Sterbefälle im Laufe der einzelnen Jahre, Bestattungskosten u. a. m.
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Zwischenfragen der Schüler und erklärende Bemerkungen von seiten des Lehrers wurden in die Arbeit nicht aufgenommen. Das Ganze trägt mehr den Charakter einer Skizze. (Anm. d. Verfassers.)
Ergänzend folgt zwischen Seite 2 und 3 ein Foto (1934) der Schulklasse und die Namen der Schüler.
Zuletzt veröffentlicht am 29.12.2023