Geschichte Epoche 09. Jahrhundert

808

823, 906, 972

808    (1. Nachtrag)


DIE ÄLTESTE URKUNDE NIEDERÖSTERREICHS

 

Im Jahre 808 schenkten drei Brüder (Wrint, Gisilmar, Wentilmar), Söhne des Elis, dem Stifte St. Emmeran in Regensburg eine Commarchia, die zwischen Eolvesbach, der Wisaha, dem Wintarbach, den 2 Tumuli und avarischen Orten lag.

 

Text der Urkunde (1): Tradimus et firmiter firmamus ad Sanctum Emeramum pro remedio animarum nostrarum et patris nostri Elis commarchiam nostram in loco, qui dicitur Eolvespah usque ad Uisaha indeque ad Wintarpah et deinde tendens usque ad duos tumulos et supradicta loca Avarorum. Firmamus nos in hanc traditionem. Ego Wrint, et Gisilmar et Wintilmar in ecclesia Sancti Emerami in praesentia Adalvinis episcopi, offerimusque servum nostrum cum omnibus utensilibus suis nomine Gereloh.

 

Bisherige Bearbeiter der Urkunde haben Eolvesbach teilweise ins Leithagebirge (Mitscha-Märheim) oder nach Elsbach (Roth) (2), oder nach Wolfsbach bei Neulengbach verlegt (Lechner) (3).

 

Das Dokument wurde 823 in die Regensburger-Traditionen aufgenommen. Regensburg war damals die größte Stadt Deutschlands, das dortige Stift Träger der Slavenmission. Infolge der Kürze (kein Wort ist in der Urkunde zuviel) wird man anfangs zur Annahme verleitet, hier seien einige Ortsnamen ausgelassen worden. Wenn nun Ortskennern die gegebenen Angaben genügen, können sie für ihre Lokalisierung größere Sicherheit beanspruchen. So soll von einem Ortskundigen versucht werden, die bisher wahrscheinlichste Lösung der problematischen Urkunde zu finden.

 

Erläuterung einige Ausdrücke

 

Commarchia: com-(munis) marchia bedeutet ein Gebiet mit fester und in sich geschlossener Grenze (4), respektive Besitzung. Aus diesem Gesichtspunkte heraus muß man die vorkommenden Wörter „inde“, „deinde“, wie allgemein üblich, im fortlaufenden Sinn „von da weiter“ übersetzen. Da Lechner im von ihm angegebenen Gebiete einige Orte (tumuli, Wisaha) in derselben Richtung nicht finden konnte übersetzte er hier mit „sowohl als auch“ und fand so keine in sich geschlossene Grenze. Diese seine ungewöhnliche Übersetzung müßte hier dahin bewiesen werden, daß der normale Gebrauch hier unmöglich ist, was aber nicht der Fall ist.

 

Daß zufolge der engen Versippung beider Völker in dieser Zeit die Ausdrücke Avaren und Slaven miteinander vertauscht werden könne, sei festgestellt, braucht nicht bewiesen zu werden. Dann können aber auch slavische Ortsnamen unter die „loca Avarorum“ eingereith werden (7).

 

Eolvespah

 

a) Der Name Eolvespah: Es ist ganz gleichgültig, ob es in unserer Urkunde Eolvespah, Egolvespah oder (E-)wolvespah heißen würde. Lechner hat deshalb die Gegend um Wolfsbach bei Neulengbach angenommen, weil er einen Schreibfehler vermutete und den Ort als Wolvespah las. „Egolf“ wurde damals auch als Eolf gerufen und hat sich sprachlich einerseits zu Alf, Olf und Wolf entwickelt, anderseits zu Egl, Agl und Agilolf (8). Im letzteren Falle läge eine Verwandtschaft des Elis mit den Agilolfingern nahe, die auch besitzgechichtlich erhärtet werden könnte. Wer waren eigentlich die Vorbesitzer der Schenkung? Schon Vater Elis war Besitzer und könnte das Gut um 800 und früher innegehabt haben. Die Heimat der Sippe war augenscheinlich Regensburg.

a) Entweder hatten sie den Besitz schon vor 791. Dann war es ursprüngliche Besiedelung durch die Baiern zu einer Zeit, da sich jeder nehmen konnte, soviel er zu bearbeiten imstande war. Über eine solche Fläche konnte sich aber nur eine Adeliger wagen, der seine Hörigen schon mitbrachte.

b) Die Commarchia war ein Geschenk des Kaisers für, wie die Größe zeigt, geleistete große Kriegsdienste in den Avarenkriegen.

c) Wie Prof. Schragl mein (9), könnte Elis schon von den Avaren eingesetzt gewesen sein und hatte diesen als Gefolgsmann Abgaben zu leisten.

 

b) Ort und Bach Eolvespah: Der Haagberg bei Rakawinkel war Teil des avarisch-germanischen Festungssystems am Wienerwaldkamm (5) und ist, wie erwähnt, als ein „locus Avarorum“ aufzufassen. An seiner Nordseite entspringt der heutige Hagenbach, im weiteren Verlauf heute Koglbach und Kleine Tulln genannt. Er umfließt die Wolfsleiten (auf der Nordseite des Haagberges) und nimmt aus dem Wolfsgrben die Abwässer der Wolfsleithen auf. Im Jahre 808 hieß er aber nicht Koglbach, weil er erwiesenermaßen seinen Namen vom später entstandenen Orte Kogl erhalten hat. Es liegt nahe, daß derselbe Wolfsbach oder Eolvesbach geheißen hat. Mitscha-Märheim gab einen Fundbericht heraus (10) über Gräberfunde aus einer Siedlung bei Sieghartskirchen aus dem 8.-9. Jh., die Überreste einer germanisch-avarischen Mischkultur aufweisen. Vielleicht war es ein Einzelhaus, vielleicht eine Streusiedlung, wie Germanen und Slaven sie damals liebten. Diese Siedlung, ein „locus Avarorum“, war unser Eolvespah. Der Bach in der Nähe hatte denselben Namen.

 

Der Verlauf der Grenze der Commarchia

 

Bis Sieghartskirchen hat der Koglerbach heute und hatte auch der Wolfsbach seinen Namen, konnte also als Ausgang der Grenzangabe verwendet werden. Ab da ändert aber die Commarchia-Grenze ihre Richtung, weshlab die Wisaha als neuer Richtpunkt aufscheint (Wisaha = Wiesenbach). Die alte Römer-, spätere Reichsstraße war zwischen beiden Bächen die gerade und offenkundige Grenze. Am Südabfall des Auberges, grenzbildend noch heute zwischen Ried, Weinzierl und Reichersberg, liegt, von der Straße erkennbar, die noch heute so genannte „Sunnwies“. Diese war schon Grenze der Freisinger Herrschaft und allbekannt. An dieser Wiese entspringt ein Gewässer, das heute verrohrt ist und namenlos und in den Klosterbach mündet. Zeitweise hieß dieser Bach Hollergraben und anders. Das muß die Wisaha unserer Urkunde sein. Bei Ried unterquert sie die Reichsstraße und mündet in den Klosterbach, unseren Winterpah.

 

Winterbach kann bedeuten:

a) einen Bach gleichen Namens; einen

b) Bach, der im Sommer kein Wasser führt.

c) ein Bach mit kaltem Wasser.

 

Zu a): Einen Bach namens Winterbach gibt es in diesem Gebiete nicht und konnte keiner der Bearbeiter in seinem Raume finden.

Zu b) und c): Beide Gewässer gäbe es hier nahe dem Riederberg: das Quellgebiet des Altbaches und der Laabach. Ich finde den Ausdruck aber überhaupt für unrichtig und meine, daß ein kleiner Abschreibfehler unterlaufen ist: es müßte Winterbach heißen (auch Lechner rechnet hier mit der Möglichkeit eines Schreibfehlers). Seinen heutigen Namen Klosterbach kann er erst seit frühestens 1450, der Zeit der Klostergründung, haben. Es ist ungewiss, könnte aber sein, daß der Bach vor 1450 einmal Kirchbach geheißen hat (10). Die Kirche St. Laurenz wurde aber noch im 13. Jh. Kapelle genannt und war, wenn sie 808 bestand, eine kleine Holzkapelle, die man schwer als namensgebend ansehen könnte. Wohl kann dieser Bach 808 aber Winterbach geheißen haben.

Winten: 1974 wurde nahe der Kirchenruine eine Zisterne ergraben, in der slavische Tonscherben lagen. Der Wintenbach kommt aus der Richtung Gablitz, einem von Slaven gegründeten Ort und aus der Richtung des Troppberges, wo es noch Hausnamen mit slawischen Wurzeln gibt. Dieser Bach wurde von den Deutschen, weil er aus der Richtung der Wenden kommt, Wenden- oder Wintenbach genannt, ein Name, der ja öfters vorkommt. Bei diesem Bache würde auch die Urkundenstelle stimmen: tendens usque ad tumulos. Er entspringt unweit dem „Weißen Kreuz“, wo sich, wie oben dargetan, 2 Schanzen (tumuli) befinden. An den Schanzen beim Weißen Kreuz ist die Grenze der Commarchia praktisch geschlossen. Die Verhaagung des Wienerwaldkammes wirkte wie ein Zaun (5), den man kaum übersteigen, aber entlang gehen konnte und kam so automatisch zum Haaberg, wo der Eolvesbach entsprang und unsere Grenzziehung beginnt. Hier endete notwendig jedes Besitztum westlich dieses Zaunes. Als „loca Avarorum“ können also gelten: der Bach und Ort Eolvesbach, der Wintenbach und die Tumuli.

 

Die Commarchia hat eine nahtlose Grenze, es werden keine Bachnamen vergewaltigt, die Teile fügen sich wie im Mosaik zum Ganzen.

 

Daß die Rapoltinger, wie aus anderen Quellen bekannt ist, innerhalb dieser Grenzen auch Besitz hatten, kam öfters vor, wie später beim freisingischen Besitze Ollern, da z.B. der Freihof Reichersberg und andere umschlossen waren. Übrigens verschenkten auch die Rapoltinger ihr Land an Regensburg und man weiß nicht, wieweit beide Geschlechter mitsammen verwandt waren oder es Absprachen zwischen ihnen gegeben hat.

 

Skizze der Commarchia Eolvesbach, Seite 26.

Die Größe: Oben angegebene Grenzen umschlossen incl. des Rapoltinger-Besitzes ungefähr 13-15 qkm.

 

Weiters Schicksal

 

Es ist auffällig, daß, als Regensburg im Jahre 833 (am 18.I.) die Gerichtsbarkeit über seinen gesamten Besitz erhielt (11), diese Commarchia nicht angeführt wurde. Eine Erklärung dafür gäbe es darin, daß Eolvespach zwar nominell an Regensburg verschenkt wurde, aber als Morgengabe für die neu errichtete Pfarre Abstetten gedacht war und dorthin von Regensburg weitergegeben wurde. Abstetten war ja eine Frucht der Zusammenarbeit zwischen Regensburg und Niederaltaich (12). 1358 konnte Niederaltaich nachweisen, daß die Burg Ried (das Gebiet befindet sich ja innerhalb der Commarchia) sein Eigentum sei. Niederaltaich wurde ja zwischen 906-10 mehrmals gründlich zerstört (13), die Urkunden vernichtet und sein Besitz (wie teilweise auch der von Regensburg) hier von Herzog Arnulf v. Bayern säkularisiert. Um 1000 kamen ganz andere Besitzer in diese Gegend.

 

Der Name Elsbach hängt nicht, wie manche meinten, mit Eolvesbach zusammen. Das Dorf hieß zwischen 1045-1250 Eselsbach, Esilbach und ähnlich. Wohl könnte man aber den Namen Elsbach herleiten von Elis, dem Vater der drei Brüder. Weder die Ortsnamenforschung noch die Geschichte würden dagegen sprechen. Die Besitzer nach 1000 (Ebersberger, Sieghardinger, Baumburg, Freising), haben neue Siedler mitgebracht, die mit dem Namen Elis nichts anzufangen wußten und ihn nach ihrem Verständnis umformten. Der Bach Elsbach existiert heute, weil verrohrt und ins Kanalnetz eingebaut, auch nicht mehr und ist den Leuten unbekannt, die in dieser Gegend überhaupt sehr unkundig sind, wie ihre kleinen Bäche heißen und jetzt z.B. falsch den Altbach als Elsbach bezeichnen. Der Elsbach ist ein kleines Gerinsel, das, von der nahen südwestlichen Höhe kommend, in Elsbach in den Altbach mündet.

 

Tumulus: damals auch „Lewer“ genannt, kann bedeuten: eine Schanze, einen Grabhügel, oder ein Ehrenmal der Vorzeit. An diversen Orten gab es Tumuli. Wenn aber in einer Urkunde zwei Tumuli als Grenzmarke einer Commarchia angegeben werden, müssen das 2 markante, gut sichtbare und bekannte Tumuli gewesen sein. In der Gegend des Riederberges gibt es 2 solche Schanzen:

a) beim Rauchbuchberg, heute nocht gut erkannbar,

b) die beim Weißen Kreuz, heute fast völlig eingeebnet, aber zur rechten Zeit von Geschichtsforschern der Universität Wien ergraben und vermessen (5). Letztere Schanze gliederte sich sowohl als Barriere für Nord-Süd wie Ost-West gedacht, wie die Forschungen ergaben, selbst in 2 Schanzen. Sowohl die Schanzen am Rauchbuchberg, wie die beim Weißen Kreuz waren allgemein bekannt, (zeitweise eingegliedert in die Ostgrenze des deutschen Reiches), wurden damals noch abwechselnd von Deutschen und Avaren (Magyaren) benützt und immer wieder ausgebaut. Da sie vielfach von Avaren benützt wurden (siehe auch solche im Hagental bei St. Andrä), konnten sie im Dokument als loca Avaraorum gelten, wie auch alle Festungen am Wienerwaldkamm einschließlich des Ha(a)berges. Obige Eigenschaften können aber nicht in Anspruch genommen werden für vermutete Gräber in einem nur vermuteten Friedhof. (6).

 

Gerersdorf liegt auch innerhalb der Grenzen unserer Commarchia. Wurde es gegründet von Gereloh unserer Urkunde? Dieser Gereloh war ja kein gewöhnlicher Sklave, weil er Besitz hatte, und die Urkunde ihn, obwohl sie so kurz gefaßt war, eigens nannte. Er war vor und nach der Schenkung Verwalter der Commarchia und spielte wohl auch eine Rolle bei der Gründung der neuen Großpfarre Abstetten.

 

     (1) J. WIDEMANN: Die Tradition des Hochstiftes Regensburg u. d. Klosters St. Emmeram. In: Quell. u. Erl. d. bairischen Geschichte. N.F. VIII. No 10.

     (2) K. ROTH: Beitr. z. deutschen Sprach-Gesch.- u. Ortsforschung. 3. Bd/152.

     (3) K. LECHNER: Urgesch. Bodendenkmäler i. mittelalterl. Urkunden: MIÖG 1952. JG 60/92.

     (4) Auch LECHNER definierte sie öfters so.

     (5) R. BÜTTNER: Mitt. d. Ak. d. Wissensch., Wien, Anzeiger 1956/320;
 J. CASPERT: MAG 1934 und 1936/20;
 H. FUCHS: Jahrb. d. Ver. f. Landk. NÖ. 1937, 1948.
 O. MITIS: Jahrb. d. Ver. f. Landk. NÖ. 1936/55;
 A. SCHACHINGER, Jahrb. d. Ver. f. Landk. NÖ. 1944-48/177.

     (6) So K. LECHNER in MIÖG 1952, Jg. 60/94.

     (7) A. AVERNARIUS: Die Avaren in Europa, Bratislawa 1974 und
 F. DAIM: Die Avaren in NÖ;
 H. FRIESINGER: Mehrere Avaren-Abhandlungen.

     (8) Zur Namenserklärung wurden außer den einschlägigen Werken der Historiker die ahd, mhd und mundartliche Lexika herangezogen wie: Bahlow, Benecke-Müller-Zaranker, E. Förstermann, Grimm, Lexer, A. Schiffmann, Schmeller, Wasserzieher.

     (9) Persönliche Mitteilung.

     (10) MITSCHA-MÄRHEIM: Das karolingische Gräberfeld von Sieghartskirchen, NÖ, und seine Bedeutung für die mittelalterliche Siedlungsgeschichte. Arch. Austr. 1953/21-39;
 A. LIPPERT: Avaren nach 800 in Österreich?;
 E. RABL, Sieghartskirchen/29.

     (11) FRA II, Bd. 36/103.

     (12) JUNKER: Diss 1954; Der Besitz des Hochstiftes Regensburg.

     (13) F. Zarl: Ollern in Zeit und Raum, Kap. Großpfarre Abstetten.

     (14) Dr. Placidus HAIDER: Das Kloster Niederaltaich; kurze Chronik, 1731 (Mönch v. N.A.);
 K. LECHNER: Studien zur Besitz- und Kirchengeschichte /204 (Jahrb. d. Bl. f. Landk. NÖ. 1953);
 JUNKER, Diss./23;
 STEINHAUSER: Colomezza;
 Jahrb. d. Ver. f. Landk. NÖ. 1971-73/15.

Originalquelle: HIPPOLYTUS, St. Pöltner Hefte zur Diözesankunde; Heft 5, 1983 (Seite 23-28)
Artikel von Dr. Franz Zarl (bis 1977 Pfarrer in Ollern (20 Jahre lang, studierte Geschichte))

Abschrift aus Privatbesitz.

(Genehmigung zur Veröffentlichung Diözesanarchiv vom 31.7.2023).

Letzte Veröffentlichung am 25.12.2023.